31.05.2021
Besinnungsworte zum 30.Mai 2021
von Almut Ehrhardt, Leiterin Familienzentrum und Mehrgenerationenhaus "Die Insel", Suhl
„Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder“, Psalm 98,1, war neulich der Bibeltext, den ich morgens las und der mich lange nachdenken ließ. Neue Lieder? Gibt es die noch? Sind nicht schon alle Melodien gesungen und gespielt? So frage ich mich manchmal. Und überhaupt, warum neue Musik erfinden, wenn es schon so viel schöne Musik gibt. Es gibt vermutlich mehr Musik, als ich je bis an mein Lebensende hören kann…
Musik gehört zur vergänglichen Kunst, man kann sie zwar brennen auf CD, aber wenn ein Musikstück verklungen ist, ist es Vergangenheit. Vor einem Bild, einer Statue kann man stehen bleiben, man kann das Werk auf sich wirken lassen. Besitzt man ein Musikstück auf CD, kann man die CD viele Male hintereinander anhören, aber in einem Livekonzert verklingt auch das schönste Musikstück nach seiner Zeit. Ein herrliches Musikstück zum ersten Mal zu hören, hinterlässt einen unvergesslichen Eindruck. Vieles vergisst der Mensch im Laufe des Lebens, aber das erste Weihnachtsoratorium oder die erste Zauberflöte vergisst man nicht.
Oft verknüpft man mit der Musikerinnerung auch andere Dinge, wie beispielsweise die Menschen, mit denen man den Genuss teilte oder die Orte des Erlebens. Nie im Leben werde ich den warmen Sommerabend in der Arena von Verona vergessen, der Vollmond stand unglaublich groß und hell über der Arena und ich hörte Verdis Gefangenenchor aus Nabucco. Ich hörte ihn nicht zum ersten Mal, aber so unvergesslich schön, als hätte ich ihn vorher noch nie wahrgenommen. Schweigen herrschte nach Verklingen des letzten Tones für einen Moment, danach: Brausender Beifall. Dann die Wiederholung und viele Zuhörer sangen mit, voller Inbrunst!
Von dieser und anderen Erinnerungen zehre ich jetzt in Zeiten der geschlossenen Konzertsäle und Theater. Und ich weiß, wenn ich das erste Mal nach langer Zeit der abgesagten Konzerte, Opern und Liederabende wieder in eine Musikaufführung gehe, wird die Musik auf mich wie eine Befreiung wirken.
Aber vielleicht hat der Bibeltext auch noch eine andere Dimension: Was wäre, wenn das Leben eines jeden Menschen ein eigenes, einmaliges und unverwechselbares Lied ist? Wir „singen“ dem Herrn unserem Schöpfer als Dank für das Wunder unseres Lebens, das er uns geschenkt hat, unser Lebenslied. Das würde bedeuten, es gibt unzählig viele Melodien, jede ist neu, noch nie gespielt oder gesungen. Schade, dass man Zeitung nicht „hören“ kann, denn diesen Gedanken drücken Baltruweit und Hustedt in folgenden Versen wunderbar aus: „Ich sing dir mein Lied, in ihm klingt mein Leben…“ Ich wünsche Ihnen, wenn Sie das nächste Mal eine wunderbare Musik hören, dass Sie dann mit Freude an Ihr eigenes Lebenslied denken.