28.03.2025
Besinnungswort zum 29.03.2024

MUSKelspiele

Von Pfarrer Thomas Schumann,  Evangelischer Klinikseelsorger im SRH-Zentralklinikum Suhl

 Es liegt schon ewig lange zurück. Es ereignete sich in meiner Kindergartenzeit. Die Gefühle von damals sind immer noch da. Meine Mutter hatte mich im Kindergarten bei der Erzieherin abgegeben - aber ich wollte nicht. Ich hatte nämlich mit bekommen, dass meine Mutter eine Schulklasse in den Tierpark begleiten würde. Und natürlich wollte ich mit! „Nein, das geht nicht“, sagte sie. Aber nun stand ich da in meiner Kindergartengruppe mit Tränen in den Augen. Eine Erzieherin hatte mich an die Hand genommen und meine Mutter warf mir einen mitfühlenden Blick zu und zog ihres Weges. Traurig ging ich zur Fensterbank. Ich schaute raus. Da stand der Bus mit den Viertklässlern, die ihn fröhlich und lachend bestiegen. Warum konnte ich nur nicht mit? Ja, sie hatte es mir zu erklären versucht, das war eben mit den Lehrerinnen der 4.Klassen nicht so abgesprochen. Die konnte sie doch nicht so einfach übergehen. Ich stand am Fenster. Tränen rannen über meine Wange. “Thomas?“, rief eine Stimme hinter mir. Ich drehte mich um. “Komm, ich nehme Dich mit." Meine Mutter stand plötzlich hinter mir. Sie hatte Mitleid mit mir und war über ihren Schatten gesprungen. Meine Mutter hatte es gespürt, wie wichtig das Ganze mir war. - Dieses Gefühl, wirklich gesehen und ernst genommen zu werden, dass da jemand sich an meine Seite stellte, das tat meiner Seele gut.

Gerade in einer heiklen Situation, wie bei einem Krankenhausaufenthalt, einer anstehenden Prüfung, einem tief sitzenden Problem, ist es umso mehr wichtig und wohltuend, mitfühlende Menschen um sich herum zu haben. Wer mitfühlend - also emphatisch - ist, kann Probleme im Kern erfassen und an einer Lösung mitarbeiten. Wer mitfühlend ist, ist nicht moralisch sondern parteiisch. Er stellt sich an die Seite des Mitmenschen.

Ganz anders sieht das Elon Musk: “Die grundlegende Schwäche der westlichen Zivilisation ist Empathie." So kritisierte der Multimilliardär vor einigen Tagen die Grundhaltung Europas. Was das meint, können wir diese Tage in der amerikanischen Innen- wie Außenpolitik ablesen: Sozialleistungen, Gelder für die medizinische Forschung und die Bildung werden rigoros gekürzt. Menschen werden sich selbst überlassen.

"Ihr wisst, wie die Großen und Mächtigen dieser Welt ihre Völker unterdrücken. Wer die Macht hat, nutzt sie rücksichtslos aus. Aber so darf es bei euch nicht sein", sagt Jesus (Mt 20, 25-26). Jesus plädiert für das Mitgefühl gegenüber den Nächsten. In dieser Haltung begegnet er anderen Menschen. Er geht auf Menschen am Rande der Gesellschaft zu und lebt Mitmenschlichkeit. Er verbindet Menschen anstatt sie voneinander zu trennen. Er holt sie an einen Tisch.

Jesu Empathie war für die Reichen und Mächtigen gefährlich, weil sie die Menschen nicht mehr für ihre Zwecke gegeneinander ausspielen konnten. Mitgefühl zu haben, bedeutet für die Bedürfnisse des anderen Verständnis aufzubringen und dafür einzutreten. Ob es Europa und auch Deutschland gelingen wird, auf diesem Kurs zu bleiben ohne sich auf amerikanische Muskelspiele einzulassen, ist die eine Frage. Die andere, heute mich drängende Frage ist: Was kann ich tun? Für wen kann ich heute jemand sein, der nicht nur zuhört, sondern mit empfindet, was den anderen bewegt? Und sei es einfach, zu sagen: Ich verstehe Dich und stehe Dir bei. Das täte nicht nur seiner, sondern auch meiner Seele gut. Das wäre zugleich ein Zeichen an die Mächtigen und Reichen: Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen. Wir treten nicht nach unten, sondern: Wir halten zusammen.