25.09.2023
Besinnungswort zum 24.09.2023
Der will nur spielen Von Pfarrer Thomas Schumann, Evangelischer Klinikseelsorger im SRH-Zentralklinikum Suhl
„Der beißt nicht..“, ruft mir die Frau von Weitem zu. „..der will nur spielen“. Mit vollem Karacho rennt der Hund auf mich zu. „Hoffentlich weiß das auch der Hund“, denke ich für mich. Offenbar hört der Hund nicht auf die Besitzerin, die ihn vergeblich zu sich zurück ruft. „Der darf nur nicht spüren, dass Sie Angst haben, sonst beißt er“, ergänzt die Frau. Na toll. Wird ja immer besser. Also doch nicht so harmlos. Nun, ich bin selbst Hundebesitzer und kenne mich aus. Schließlich komme ich heil vorbei. Aber so losgelassen war dieser Hund gefährlich. Wie wird er sich gegenüber Kindern oder schwachen Menschen verhalten? Ich habe da berechtigte Sorge.
„Das ist ein falscher Hund“, sagt eine Redewendung: Es kann sein, dass jemand freundlich daher kommt. Aber lässt man ihn los, wird er unberechenbar. Nicht jeder Mensch, der sich mir gegenüber freundlich gibt, ist mir oder anderen gegenüber persönlich zugewandt.
Es gab immer schon falsche Hunde. Zu biblischen Zeiten gab es Berater, die den Königen in Krisenzeiten zur Seite standen. Diese Experten nannten sich selbst Propheten Gottes. Doch sie traten nicht für das Gute und Richtige zum Wohle der Bevölkerung ein. Sie schauten auf ihren eigenen Vorteil: Sie sagten das, was die Herrscher hören wollten.
Das macht mich angesichts der vielen Veränderungen in den letzten Jahren sehr hellhörig. Wem öffnen wir die Ohren und wem nicht? Hören wir nur das, was wir hören wollen? Sind wir bereit, zuzuhören, neu zu denken - und damit auch uns anzustrengen?
Manche erhoffen sich eine Rückkehr in vertraute alte Zeiten, indem sie die Zeit zurück drehen. Mit einfachen Parolen wollen sie komplexe Probleme lösen. Sie ignorieren und verleugnen unbequeme wissenschaftliche Erkenntnisse über die Umwelt, Gesellschaft und Medizin. Stattdessen hören sie auf wissenschaftliche Randmeinungen, die ihnen Recht geben - und vermitteln: Alles gut, wenn wir nur auf alte Rezepte zurückgreifen. Lehnt euch zurück, alles halb so schlimm.
Die Propheten, von denen die Bibel berichtet, sind anders gestrickt: Sie vertreten unbequeme Worte: „Es ist Dir gesagt, Mensch, was gut ist,“ sagt der Prophet Micha (Mi 6,8). „Gottes Wort halten, Liebe üben und demütig sein (vor Gott).“ Demut bedeutet, mich nicht über die Lebensform anderer zu stellen. Demut bedeutet, Ausländer menschenwürdig zu unterstützen. Demut bedeutet, für Alte und Kranke, für ungeborenes Leben, für Kinder angemessen zu sorgen. Demut bedeutet, zu wissen, dass wir Eines sind: Gottes Schöpfung. Von der Zeugung bis zur Bahre. Ausnahmslos.
Wer dieses Grundprinzip der Menschenwürde nicht mehr vertritt, zwischen wertem und unwertem Menschenleben unterscheidet kann sich Christ oder Christin oder Menschenfreund nennen, ist es aber nicht. Oder um es mit Jesu Worten zu sagen: „Nehmt euch in Acht vor denen, die in Gottes Namen auftreten und falsche Lehren verbreiten! Sie kommen zu euch, getarnt als Schafe, aber in Wirklichkeit sind sie reißende Wölfe.“ (Mt 7,15)
Ja, diese Zeiten sind anstrengend. Sie fordern uns heraus, genau hinzuschauen, einander zu zuhören und vor allem eines: Menschen zu bleiben und nicht zu falschen Hunden zu werden. Nicht Menschenfreundlichkeit zu propagieren und hintenrum sie zu belächeln, diffamieren und diskriminieren.
Menschenfeindlichkeit ist keine Alternative: Sie richtet sich gegen das Menschsein mit allen ihren Nuancen - und letztlich gegen jeden von uns. Dazu gehören wir alle, nicht nur die anderen, eine ausgewählte Bevölkerungs- oder Altersschicht. Denn: Früher oder später, wenn wir schwach sind, wird sich ein falscher Hund auch gegen uns richten.
Jede Stichelei gegen Ausländer, Arme, Kranke, Kinder, geistig und körperlich Beeinträchtigte braucht keine Diskussion, sondern ein klares „Nein!“ - selbst wenn es der freundliche Nachbar, die nette Kollegin, der autoritäre Angehörige sagt. Denn einmal losgelassen wird es immer schlimmer werden.
Wie schwer es uns auch die Politik macht, Menschenverachtung ist keine Alternative. Unsere Aufgabe ist es, uns nicht durch einfache Parolen verführen zu lassen - weder im Alltag noch auf der Bühne der Politik - und den falschen Hunden auf den Leim zu gehen. Wir sollten - um Gottes Willen - die Fehler unserer Vorfahren nicht wiederholen.
Nochmal: Ja, es ist anstrengend. Aber: „Es ist Dir gesagt, Mensch was gut ist“.