16.02.2023
Besinnungswort zum 18.02.2023
Von Pfarrer Thomas Schumann, Evangelischer Klinikseelsorger im SRH-Zentralklinikum Suhl
Geht’s denn noch?!
In einer leuchtend orangen Jacke hockt dieser Mann da. Seinen linken Arm ausgestreckt, hält er die Hand seiner unter Trümmern begrabenen Tochter. Mesu Hancer hat seine Tochter Irmak in der Erdbeben-Katastrophe letzte Woche verloren. Sein Blick leer. Welchen Schmerz, welche Ohnmacht wird dieser Mann empfinden, dessen 15jährige Tochter so sinnlos aus dem Leben gerissen wurde? Ist das nicht eine Infragestellung von allem? Von den Politikern, die wussten, dass die Region erdbebengefährdet ist? Von den Menschen, die Hilfskonvois am Zoll festhalten und damit wertvolle Zeit verloren geht? Ja, ist es nicht die Infragestellung von Gott daselbst? Wieviel Leid soll es noch geben? In Syrien, der Türkei, in der Ukraine und weltweit?
Gibt es Dich, Gott? Diese Frage stellt sich da wohl jeder Mensch. Atheisten beantworten diese Frage mit einem "Nein". Doch diese bohrende Frage, ob es Gott gibt, gehört auch zum Leben derjenigen, die sich Christ:innen nennen. Das liegt in der Natur des Glaubens. Glaube meint, ich verlasse mich auf etwas oder jemanden. Ich muss mich also fragen: Kann ich mich noch auf Gott verlassen, wenn ich von solchen Nachrichten in der Presse lese? Die Angelegenheit verschärft sich noch, wenn es um mein eigenes Leben geht und Leid erfahre: Eine böse Diagnose. Ein schwerer Verlust.
Auf einmal ist da eine innere Stimme, die bereits bei Adam und Eva in Form der Schlange einzieht: Meint es Gott wirklich gut mit uns? Können wir ihm rechnen?
Verschärft wird diese Erfahrung mit dem Leben Jesu, das mit seiner Kreuzigung endet. Seine Mutter steht ohnmächtig unter dem Kreuz und muss zusehen, wie ihr Sohn einen qualvollen Erstickungstod erleidet. Ja, Gott, geht´s denn noch?! Ein Mensch, auf Zuruf der Menschenmasse als des Todes würdig verurteilt. Können wir da noch mit Gott noch rechnen, wenn ein unschuldiger Mensch offensichtlich dem Mob anheimfällt? Nein, wir können das nicht! Gott ist nicht berechenbar. Er ist nicht so wie wir es wollen. Er ist wie er ist. Überraschend anders. Als Jesus stirbt, ein Erdbeben. Alles gerät ins Wanken. Auch unserer Maßstäbe.
Und dann geschieht am Ostermorgen gerade das, womit niemand rechnen konnte: Jesus ist auferweckt worden. Er lebt. Es ist als ob Gott sagt: „Ihr könnt mich nicht aus eurer Welt rauswerfen. Ich bleibe bei euch - und sei es als diese eine Frage: Gibt es dich, Gott?“
Mit Gott können wir nicht nach unseren Maßstäben rechnen Aber Gott können wir erfahren, wo wir unseren Tag, unser Leben ihm anvertrauen und merken: Gott trägt mich - auch durch das Leid, durch schwere Krankheit, durch Verluste, durch den Tod hindurch. Das ist keine theoretische Rechnung, sondern tägliche Praxis. Wo ich diesen Mann in seiner leuchtend orangen Jacke mit seiner Tochter händehaltend sitzen sehe, schließe ich ihn ein in mein Gebet. Ich hoffe und vertraue darauf, dass mein Glaube eines Tages dem Schauen weicht und dass das ebenso für den Vater und seine Tochter wirklich wird, was im letzten Buch der Bibel steht:
Gott wird abwischen alle Tränen (..), und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid noch Geschrei noch Schmerz wird mehr sein; denn das Erste ist vergangen. (..) Siehe, ich mache alles neu!
So will ich nicht am Leben verbittern oder verzweifeln sondern mich an Gott festhalten. Meine Entscheidung. - Auch Ihre?