15.07.2021
Besinnungswort zum 18.07.2021

von Marlis Schmidt Evangelische Kirchengemeinde Suhl

Marlis Schmidt

Füreinander zum  Engel werden

Endlich ist Sommer und damit Hochsaison für Feste und Feiern,aber auch für Reisen. Wir dürfen wieder Gast sein und auch Gastgeber.  Auf einer Einladungskarte fand ich diese Worte aus dem Hebräerbrief: „Vergesst die Gastfreundschaft nicht! Denn durch sie haben manche, ohne es zu wissen, Engel beherbergt.“ Im Orient und in der Zeit, als der Apostel seine Zeilen an die Hebräer schreibt, gegen Ende des ersten Jahrhunderts, ist Gastfreundschaft ein Grundgebot der Gemeinschaft und hat eine ganz tiefe Dimension.Sie ist so etwas wie die ursprünglichste Form menschlichen Zusammenlebens. Nur so waren Reisen und Begegnungen überhaupt möglich, wenn einem Essen und Trinken und ein Dach über dem Kopf gewährt wurde.Welch ein Geschenk, wenn einer solch einladende Gastfreundschaft erfahren hat und jemand sein Haus und Herz geöffnet hat. Und auch der Gastgeber war beschenkt.“Vielleicht beherbergt ihr einen Engel, einen Boten von Gott“, schreibt der Apostel.

Und wie sind unsere Erfahrungen ? Jeder hat Beispiele von erfahrener Gastfreundschaft, wenn alles aufgetischt wurde, trotz bescheidener Lebensweise, der Gast quasi König war. Dem Gast einfach Anteil gegeben wurde an seinem Leben und der Schönheit des Landes. In einer solchen, dem anderen gewährten Gastlichkeit voller Empathie, wurde oft die selbe Sehnsucht nach Leben wach wie in einem selbst. Den Anderen wertzuschätzen, so wie er ist, schafft Verbindung. So wurden oft aus Fremden Freunde. Denn die Begegnung mit dem unbekannten Gast bringt eine Erweiterung des eigenen Horizontes mit sich, neue Impulse und Sichtweisen, andere Erfahrungen und Einsichten. Ich denke zum Beispiel an die mediterrane Lebensweise, die sich auch bei uns etabliert hat. Die Muße und Gelassenheit, das gemeinsame Genießen der einfachen Küche macht das Miteinander leichter und lässt uns die Begegnungen mehr wertschätzen. Wie ist es bei mir,wenn unerwartet Gäste -bekannt oder unbekannt- an der Tür klingeln? Bin ich bereit, Pläne über den Haufen zu werfen, mich ganz und gar auf das Unerwartete einzustellen? Doch in der Unterbrechung unserer täglichen Routine liegt die Chance der Veränderung, die Möglichkeit, dass ich etwas Neues für mein Leben gewinne, den Anderen als Bereicherung zu empfinden. Durch mein Gegenüber werden vielleicht Gaben geweckt, Menschen zu unterstützen und zu begleiten. Ich denke an die Tafel oder andere Vereine. Vielleicht folgt daraus die Ermutigung, für sich selbst etwas zu tun.  Oder Andere unterstützen, als Dank für erfahrene Gastfreundschaft, Projekte in Afrika, pflegen Patenschaften. So füreinander zum Engel werden.   Was macht einen guten Gastgeber aus? Die Urgeschichte der Gastfreundschaft finden wir bei Mose in der Bibel. Hier wird berichtet,wie Abraham, der Stammvater Israels, die 3 fremden Reisenden so freundlich empfängt und bewirtet, ohne zu ahnen, wen er  da zu Gast hat. Gott selbst nämlich ist es, der mit seinen Boten bei Abraham und Sara einkehrt und dem älteren Ehepaar die Geburt eines Sohnes verheißt. „Denn wer Gastfreundschaft übt, bewirtet Gott“, so heißt ein israelisches Sprichwort. Am wichtigsten finde ich, dass ich mich ganz und gar auf die Menschen einlasse, denen man begegnet. Kein Zeitdruck, die Gedanken voll bei der Sache, die Antennen für die Stimmung des Gegenüber weit ausgefahren. Das gemeinsame Essen macht mir und den Gästen das Essen köstlicher.“ Wer gastlich ist, kennt die Kunst der Verschwendung, er geizt weder mit sich noch mit seiner Habe“, so schreibt  Fulbert Steffensky. So wünsche ich mir das Zusammensein mit Gästen: Gute Gespräche, die mich zum Nach- und Weiterdenken anregen. Ein offenes Ohr für Freuden und Sorgen, manchmal auch einfach Spaß zusammen haben. Solche Gäste können zu Engeln werden. Gastfreundschaft entspringt dem Mitgefühl, der Kunst, sich in andere hineinversetzen und einfühlen können. In der Corona-Zeit wurde menschliche Nähe und Mitmenschlichkeit neu entdeckt und schätzen gelernt. Netzwerke sind entstanden zur Hilfeleistung von Nachbarn und Einsamen. Diese haben wiederum ihren Garten zum Spielen angeboten oder Kinder betreut, Kuchen gebacken und den Anderen eine Freude gemacht.  So wurden sie füreinander zum Engel. Achtsamkeit mit sich selbst, dem anderen gegenüber und  der Schöpfung eröffnet uns Wege des respektvollen Umgangs und des freudigen Teilens. Denn wir sind alle als Teil der Schöpfung „Gast auf Erden“ und brauchen einander, damit wir uns gegenseitig aufbauen und trotz kultureller und religiöser Hintergründe aufgeschlossen füreinander bleiben für ein gelingendes Leben. „Dies ist der Gastfreundschaft tiefster Sinn: dass ein Mensch dem anderen Rast gebe auf der großen Wanderschaft zum ewigen Zuhause, dass er für eine Weile ihm Bleibe gebe für die Seele, Kraft, Ruhe und das Vertrauen: Wir sind Weggenossen und haben gleiche Fahrt. Jede Gastfreundschaft ist gut, darin von solcher Gastfreundschaft der Seele etwas lebt.“ (Zitat des italienischen Theologie- und Religionsphilosophen Romano Guardini)

Ich wünsche uns einen Sommer voller wohltuender Begegnungen.