05.03.2020
Besinnungsworte

von Matthias Gering, Gemeinde Goldlauter-Heidersbach

Anstand

In den letzten Tagen haben meine jüngere Tochter und mein Enkelsohn das Spiel 4 Gewinnt entdeckt. Nicht, wie es heute so üblich ist auf dem Smartphone, sondern als Tischspiel. Was für ein Spaß! Große Freude beim Sieger des Strategiespieles, Wut und Ärger beim Verlierer. Beim Zuschauen fällt mir ein, was wir als Kinder gelernt haben, wenn wir gerade eine schmerzhafte Niederlage erlitten hatten: „Man muss mit Anstand verlieren können...“. Fairplay, Sportgeist, die Leistung des anderen anzuerkennen - das waren Tugenden, die unsere Eltern uns zu vermitteln versucht haben. Und wie jeder weiß, ist verlieren nun einmal viel schwerer als zugewinnen. Deswegen muss man es auch erlernen. Heute allerdings fragt man sich zuweilen, wo er denn geblieben ist, der Anstand unserer Kindertage. Wir leben inzwischen in einer Zeit in der vieles unerträglich ist. Unverständigkeit ist ein Problem unserer ganzen Gesellschaft. Warum nistet sich eine Rolle der Anstandslosigkeit überall ein? Ein Punkt spielt dabei die sozialen Medien. Kommunikation findet immer weniger von Mensch zu Mensch statt, sondern auf digitalen Plattformen. Da ist nicht nur die Distanz zum Mitmenschen größer, sondern auch Anstand und Moral. Man muss kaum noch Rücksicht auf andere nehmen, und kann seiner Häme ungehindert freien Lauf lassen. Beleidigungen und Lügen sind dort Alltag geworden und man hat sich daran gewöhnt. Unternehmen wie Facebook und Twitter geben sich mit einem niedrigen Anstands- Niveau zufrieden. Auch in Kommentaren in Zeitungen ist der Ton anstandsloser geworden. Folge daraus ist, wir alle sollen clever sein, durchsetzungsstark, ja auch ein bisschen skrupellos. Nur so hat man Erfolg, der über alles andere gestellt wird. Ihm muss sich jeder und alles unterordnen - auch der Anstand. Aber ist das wirklich so? Oder anders gefragt: Muss das so sein? Was ist so schlimm daran, wenn jemand was besser kann als ich? Was geht uns verloren auf dem Weg zu Besser, Höher, Schneller, Weiter? Anstand bedeutet auch Rücksicht auf andere zu nehmen, und zwar auch dann, wenn einem nicht danach zumute ist - für ältere Mitmenschen im Bus aufstehen, auch wenn man selber müde ist, einen kranken Freund besuchen, auch wenn man keine Zeit hat und sich in einer Kassenschlange nicht vorzudrängeln, obwohl man es doch eilig hat. Ganz einfache Dinge! Jeder von uns hat von Gott das Potenzial erhalten, ein anständiger Mensch zu werden, der mit Herz und Verstand entscheidet, was wirklich richtig ist. Wir müssen die Gewöhnung an den rauen Ton in unserer Gesellschaft bekämpfen, in der Familie, der Nachbarschaft, in den Medien und die letzten Wochen haben es gezeigt, besonders in der Politik. In unserem Land Thüringen sind Grenzen überschritten worden - keine Frage und ja die Glaubwürdigkeit der Demokratie hat Schaden gelitten. Von manchen war das so gewollt, von manchen billigend in Kauf genommen. Zudem brauchen wir auch mehr Mut, zu sagen, was man für richtig hält oder nicht, aber ohne den anderen das Recht abzusprechen eigene Gedanken zu haben. Das ist eine schwierige Aufgabe. Sie gelingt nur dann, wenn wir Dinge nicht mit hässlichen Worten sagen oder Provokationen nicht lediglich als Stillmittel benutzen, sondern sie in ihrer Wirkung selbstkritisch überprüfen. Niederlagen, die ja auch schmerzhaft sind, akzeptieren. Vielen mag der Begriff Anstand altmodisch vorkommen, ein wenig angestaubt vielleicht. Aber in Wahrheit wäre es gut, wenn er möglichst bald wieder modern würde. Anstand ist für uns Christen eine Herausforderung, deren Grammatik wir mit der Bibel lernen können. Lesen wir zum Beispiel im Brief des Paulus an die Römer Kap. 12, 9-12: „Die Liebe sei ohne Falsch, hasst das Böse, haltet fest am Guten. Die brüderliche Hilfe untereinander sei herzlich. Einer komme den anderen mit Ehrerbietung zuvor. Seit nicht träge in dem, was ihr tun sollt. Seit brennend im Geist. Dient dem Herrn. Seit fröhlich in Hoffnung, geduldig in Trübsal, beharrlich im Gebet“. Ich glaube daran, dass jeder von uns ein angeborenes Gefühl in sich hat, mit anderen Menschen vernünftig umgehen zu wollen. Damit ist eine klare Unterscheidung zwischen Gut und Böse, zwischen Anstand und Anstandslosigkeit tatsächlich möglich. Und ich finde dies hilft auch im Spiel 4 gewinnt, mit Anstand zu verlieren.